Wenn Frauen in Gefahr sind, muss der Staat eingreifen. Zuerst kommt die Polizei, dann die Justiz ins Spiel. Aber: Die allermeisten (mutmaßlichen) Täter werden nie verurteilt. Was beim Staat falsch läuft, hörst du in der 4. Folge von "Man tötet nicht aus Liebe".
CN: Teilweise explizite Schilderungen von Gewalt durch eine betroffene Frau
Der Polizist glaubt Sandra nicht, dass ihr Freund sie umbringen wollte. Vor Gericht fragt der Richter immer wieder: Wenn es so schlimm war, warum sind Sie nicht gleich gegangen? Ihre Geschichte ist ein Paradebeispiel dafür, was bei den Behörden falsch läuft, wenn es um Gewalt in Beziehungen geht.
Die allermeisten Fälle kommen nie vor Gericht. Das liegt daran, wie unser Rechtssystem aufgebaut ist, aber auch an schlechter Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Was sich ändern muss, damit Opfer eine Chance auf Gerechtigkeit haben, erfährst du in dieser Folge.
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Musik
Cody Martin - Tesseract / Soundstripe
Chelsea McGough - Liminal / Soundstripe
Chelsea McGough - Mind Over Matter / Soundstripe
Nu Alkemi$t - Phases / Soundstripe
Cast of Characters - Urgent Assistence / Soundstripe
Chromatica - Andromeda Car Wash / Soundstripe
SAMME - Mako / Soundstripe
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Du bist von häuslicher Gewalt betroffen und benötigst Hilfe?
Bevor es losgeht, ein kurzer Hinweis: In dieser Folge sprechen wir über die Rolle von Polizei und Justiz bei Gewalt an Frauen. Eine Betroffene erzählt dafür ihre Geschichte und schildert teilweise explizit die Gewalt, die ihr angetan wurde.
Sonja Aziz: …als der Beschuldigte sodann diese Ladung erhalten hat, eine Woche später, hat er den Tatentschluss gefasst und hat hier [00:24:00] dem Opfer aufgelauert, sich unbemerkt Zugang zu ihrer Wohnung verschafft und sie mit 50 Messerstichen attackiert, vor allem gegen den Kopfbereich.
Lisa: Das ist die Anwältin Sonja Aziz. Sie verklagt Österreich.
Ihre Mandatin ist eine junge Frau, die erst 16 Jahre alt war, als ihr damaliger Freund versucht hat, sie zu ermorden. Sonja Aziz sagt, die Behörden hätten die Tat verhindern können, nein: Sie hätten die Tat verhindern müssen.
Max: Welche Verantwortung hat der Staat bei Gewaltbeziehungen? Versagen die Behörden? Wo liegen die Schwachstellen und wie läuft es bei der Polizei und vor Gericht überhaupt ab? Diese Fragen werden wir in dieser Folge beantworten.
Lisa: Mein Name ist Lisa Wölfl.
Max: Und ich bin Max Eberle. Du hörst die vierte Folge von MOMENT: "Man tötet nicht aus Liebe".
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Sandra: Es war wie als wären alle Sachen, die ich vorgelegt habe, nicht relevant.
Barbara Steiner: Abschreckend ist schon die Angst vor dem Täter, dass er sich rächen könnte.
Sonja Aziz: es wird so im Sinne dieses Bildes eines perfekten Opfers erwartet, dass das Opfer eine perfekte Mappe zur Verfügung stellt und die wie am Silbertablett serviert.
Jingle Ende
Lisa: Bevor wir uns im Detail anschauen, was passiert, wenn eine Frau sich traut und tatsächlich bei der Polizei eine Anzeige erstattet, würde ich mit dir gerne noch über diese Amtshaftungsklage sprechen.
Max: Dann fangen wir doch gleich mit dem Begriff an. Was ist denn eine Amtshaftungsklage?
Lisa: Das kann Sonja Aziz am besten selber erklären:
Sonja Aziz: Eine Amtshaftungsklage ist eine Klage gegen die Republik Österreich. Wenn man davon ausgeht, dass ein staatliches Organ, wie zum Beispiel die Polizei oder die Staatsanwaltschaft, ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, und dadurch ein Schaden eingetreten ist und ihn im konkreten Fall geht es um eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich wegen einem nicht verhinderten Femizid bzw. in unserem Fall einem versuchten Femizid.
Max: Sie sagt also, an dem, was dem Opfer passiert ist, ist nicht nur der Täter Schuld, sondern auch der Staat.
Lisa: Genau. Sie beschreibt die Lage so: Ein 16-jähriges Mädchen wird von ihrem Freund immer wieder geschlagen, getreten und verletzt. Nach einem besonders schlimmen Übergriff vertraut sie sich ihrer Mutter an und die informiert die Polizei. Das war im Februar 2020.
Max: Und wie hat die Polizei reagiert?
Lisa: Die hat die Aussage vom Mädchen aufgenommen und eine Ladung an den Täter geschickt, dass er eine Aussage machen muss. Die kommt neun Tage später an. Und der Täter hat die Ladung gesehen und in dem Moment den Entschluss gefasst, sie umzubringen. Er hat ihr dann aufgelauert und 50 Messerstiche versetzt. Sie hat das tatsächlich überlebt und konnte noch selbst die Rettung rufen.
Max: Das find ich irgendwie komisch. Das Opfer ist ja in Gefahr, wieso kriegt der Täter dann einfach einen Brief, so, hallo, die hat Anzeige erstattet, kommen Sie dann und dann in die Polizeistation?
Lisa: Genau das kritisiert Sonja Aziz. Sie sagt, die Polizei hätte ein Kontaktverbot verhängen und auch direkt beim Täter sofort eingreifen müssen:
Sonja Aziz: Die hätten dann mit ihm einen Termin bei der Männerberatung zum 25:00 Beispiel vereinbaren können. Man hätte in seinem Aggressionspotenzial sehr sehr früh auch schon arbeiten können. Die Eltern des Täters hätten mit einbezogen werden müssen. All das ist nicht passiert. Es ist einfach gar nichts passiert.
Max: Und was sagt die Polizei selbst dazu?
Lisa: Ich habe beim Innenministerium nachgefragt, dieses ist für die Polizei zuständig. Von dort heißt es nur, man könne keinem laufenden Verfahren vorgreifen.
Max: Was bringt denn diese Amtshaftungsklage im besten Fall?
Lisa: Sonja Aziz will eine finanzielle Wiedergutmachung für ihre Mandantin erstreiten. Aber ein Ziel ist auch, die Verantwortung vom Staat hervorzuheben. Öffentliche Aufmerksamkeit für das Problem zu schaffen.
Max: Die Verantwortung vom Staat, darum soll es auch insgesamt in dieser Folge gehen.
Lisa: Genau. Wir wollen herausarbeiten, welche Probleme es bei der Polizei und in der Justiz gibt. Was Opfer erwartet, wenn sie anzeigen. Was jetzt passieren muss, um die Situation zu verbessern. Und all diese Aspekte wollen wir anhand der Geschichte einer Frau aufzeigen. Dafür fangen wir nochmal ganz von vorne an.
Sandra lernt in einer schwierigen Lebensphase einen Mann kennen. Er gibt ihr das Gefühl, dass sie alles schaffen kann. Bald machen sie gemeinsam Urlaub, er kennt ihren Freundeskreis und bald will er auch die Eltern kennenlernen. Etwas ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen sind sie auf dem Weg zu ihm nach einem Familienfest. Ein Freund ruft Sandra an, sie hebt nicht ab. Trotzdem: Ihr Partner rastet komplett aus.
Sandra: Diese Nacht werde ich nie vergessen. Mein Freund hat mich zu Boden geschmissen in der Wohnung, hat dann auch im Badezimmer gegen die Fliesen mit seiner Faust geschlagen.
Lisa: Sandra heißt eigentlich anders, aber zu ihrer Sicherheit haben wir den Namen geändert. Sie hat heute noch Angst vor dem Ex-Partner.
Sandra: ich hatte wahnsinnige Angst, aber habe versucht ihn mit lieben Worten irgendwie aus seiner Psychose zurückzuholen. Ich habe eine Wange gestreichelt, mich fest um ihn geklammert. Ich habe gesagt, ich liebe dich, bitte hör auf, bitte beruhige dich. Ich tu was alles, was du willst.
Lisa: Sandra beschreibt ihn in dem Moment wie als wäre er in einer anderen Welt. Er sagt, alle lachen ihn aus. Und dann wird Sandra klar, dass er sie tatsächlich schwer verletzen könnte.
Sandra: Hat die Hände um meinen Hals gelegt und hat mich gewürgt. Und in dem Moment war ich ganz starr vor Angst, ich habe nichts mehr gesagt. Als er immer fester gedrückt hat, hab ich gesagt: Bitte. Bitte tu das nicht. Bitte nicht. Er hat dann ganz wütend, sein Gesicht war ganz rot. Er war so wütend, aber auch so ängstlich, ich kann das kaum beschreiben.
Lisa: Würgen - das ist einer der Risikofaktoren in einer Gewaltbeziehung, die zeigen, hier ist die Frau in großer Gefahr. Und so ist es auch. In derselben Nacht droht er Sandra, ihre gesamte Familie umzubringen. Sie bleibt über Nacht bei ihm. Er nimmt ein Messer mit ins Bett und kündigt an, wenn sie auch nur aufs Klo geht, dann wird er zustechen.
Sandra: Am nächsten Tag hat er sich entschuldigt. Er war sehr fürsorglich. Hat mir Tabletten aus der Apotheke geholt. Das war der erste Angriff von vielen.
Lisa: In dieser Nacht beginnt die Gewalt. Aber heute weiß Sandra, schon vor dem Angriff hat er sich langsam die Kontrolle über ihr Leben verschafft. Wochen vor dem Angriff fängt er schon an, ihr gesamtes Umfeld schlechtzureden.
Sandra: Ich habe das nicht wirklich mit mir machen lassen wollen. Am Anfang war es so, wenn ich durch die Türe gehe, dann passiert etwas. Im Anschluss hat er es umgedreht. Ich müsste quasi so viel Energie und Arbeit reinstecken, dass er mich nicht verlässt, denn wenn er bereit wäre, mich zu verlassen, dann passiert etwas.
Lisa: Er kontrolliert täglich ihr Handy, setzt sie unter Druck, Sex zu haben, isoliert sie von Freund.innen und Familie. Sandra stellt ihr Handy immer öfter auf Flugmodus, denn wenn sie auch nur jemand anruft, schlägt er sie.
Sandra: Ich durfte nicht mehr alleine duschen, aufs Klo gehen, meine Familie sehen. Ich durfte nichts mehr alleine.
Ich denke, meine Familie wusste sehr wohl, dass ich in Gefahr war. Oder von ihm beschlagnahmt wurde mehr oder weniger. Aber sie haben nichts getan, ich denke aus Angst.
Lisa: Sandra hat keine Minute für sich. Er ist arbeitslos und verbietet auch ihr, in die Arbeit zu gehen. Sandra verliert ihren Job. Sie schläft nicht mehr. Und dann rastet er wieder völlig aus. Er schlägt Sandra gegen einen Spiegel, sie verliert das Bewusstsein. Sandra wird im Badezimmer wieder wach.
Sandra: Ich war bewusstlos, er wollte mich ertränken oder was auch immer er machen wollte, vielleicht wollte er mein Genick brechen, vielleicht wollte er mich nur aufwecken. Ich weiß es nicht.
Lisa: Sandra fleht ihn an, die Rettung zu rufen. Das tut er auch. Der Notarzt untersucht sie kurz und meint, es ist alles in Ordnung. Aber Sandra schafft es, einem Sanitäter klarzumachen, dass sie Hilfe braucht. Die Wohnung ist verwüstet. Der Kasten ist umgeschmissen, Scherben liegen am Boden. Ihr Freund versucht zu verhindern, dass sie ins Spital gebracht wird. Er fährt dem Rettungswagen hinterher. Vor dem Krankenhaus wartet die Polizei schon auf ihn.Hier beginnt Sandras Kampf um Gerechtigkeit.
Lisa: In Österreich - und natürlich auch in anderen Ländern - gibt es eine hohe Dunkelziffer bei Gewalt in Beziehungen. Wie groß dieses Dunkelfeld ist, können wir nicht genau sagen. Alle Expert.innen gehen aber davon aus, dass nur ein Bruchteil der Gewalttaten in Partnerschaft oder Familie angezeigt werden.
Max: Wieso ist das eigentlich so? Wieso zeigen Opfer meistens nicht an?
Lisa: Wir haben ganz am Anfang schon gehört, dass ein jugendlicher Täter versucht hat, ein Mädchen umzubringen, nachdem er die Ladung von der Polizei bekommen hat. Angst vor Rache ist ein großer Punkt, sagt auch Anwältin Barbara Steiner. Sie vertritt oft Opfer und Angehörige:
Barbara Steiner: Abschreckend ist schon die Angst vor dem Täter, dass er sich rächen könnte. Dass er zum Beispiel auch Gegenanzeigen erstattet oder aktiv etwas tut gegen das Opfer. Aber auch das große unbekannte Polizei- und Justizsystem ist schon abschreckend. Weil die Opfer eben zu weniger Informationen haben, was ihre Rechte sind und wie das Verfahren abläuft und auch endet. Oder dass man auch den Opfern nicht glaubt. "Man wird mir nicht glauben", ist ein gängiger Satz, den ich immer wieder höre. (Weil er sei so wortgewandt und ich hab keine Beweise. Das ist auch eine gängige Angst, die eher davor abschreckt, Anzeigen zu erstatten.)
Lisa: Es kann auch sein, dass das Umfeld Druck aufbaut und Sachen sagt wie: Damit zerstörst du sein Leben.
Max: Ich denke, das hängt auch alles damit zusammen, dass die Trennung so schwierig ist. Da sind die Ängste bei einer Anzeige wohl oft sehr ähnlich.
Lisa: Umgekehrt habe ich Barbara Steiner auch gefragt, was denn die größte Motivation ihrer Mandantinnen ist, eine Anzeige zu machen.
Barbara Steiner: Die wesentlichste Motivation, eine Anzeige zu machen, ist die Gewalt zu beenden. Oder wenn es ein einmaliger Vorfall ist, dann ist es halt auch die Angst und auch die Motivation, den Täter zu stoppen. Ich glaube schon, dass durch die mediale Öffentlichkeit das Thema größer geworden ist und die Opfer ermutigt wurden, Anzeigen zu machen dadurch.
Lisa: In der Polizei tut sich viel, was häusliche Gewalt betrifft. Weibliche Opfer haben das Recht, von weiblichen Polizistinnen vernommen zu werden, wenn es um Beziehungsgewalt oder sexualisierte Gewalt geht. Und auch jemand von der Beratungsstelle kann gleich dabei sein. Was wenige wissen: Für Opfer gibt es kostenlose Prozessbegleitung, sowohl juristisch als auch psychosozial.
Gewalt in der Privatsphäre, wie es bei der Polizei heißt, spielt in der Polizeischule eine große Rolle. Es gibt Zusatzausbildungen zum Thema.
Es gibt ein eigenes Team, das Polizist.innen hinzuziehen können, wenn sie nicht weiter wissen. Seit 2021 ist dieser sogenannte GIP-Support rund um die Uhr erreichbar. Die Beamt.innen können dort zum Beispiel anrufen und abklären, ob ein Betretungs- und Annäherungsverbot zu verhängen ist.
Das ist eines der wichtigsten Instrumente, um Opfer zu schützen. Früher gab es das Betretungsverbot der Wohnung, aber seit 2019 gilt auch automatisch ein Annäherungsverbot. Der Täter darf also nicht in die Wohnung und auch nicht zum Arbeitsplatz des Opfers oder zur Schule der Kinder.
Max: Wir haben vorher den Fall eines Mädchens besprochen, das einen Mordversuch überlebt hat, nachdem sie eine Anzeige gemacht hat. Da hat die Polizei kein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen. Wissen wir, wieso?
Lisa: Nein, für diesen konkreten Fall kann ich das nicht sagen. Meistens ist es so, dass die Polizei gerufen wird, also mitten im Konflikt. Dann entscheidet die Polizei, ob sie eben so ein Verbot verhängt. Es ist aber auch möglich, das nach der Anzeige zu machen, also auch Tage nach der Gewalt, zum Beispiel, wenn vom Täter weiter eine Gefahr ausgeht.
Max: Das hört sich ja alles ganz gut an. Ich hab das Gefühl, dass trotzdem jetzt von dir gleich ein "Aber" kommt.
Lisa: Ja. Also: Es tut sich viel, aber die Erfahrung der Opfer hängt stark davon ab, an welche Beamtin, an welchen Beamten sie geraten. Ich habe zum Beispiel mit einem jungen Wiener Polizisten gesprochen, der erzählt, in der Ausbildung werden alle gut darauf vorbereitet, was zu tun ist. Trotzdem gibt es Kolleg.innen, die sich die Arbeit nicht machen wollen oder auch einfach nicht am aktuellen Stand sind. Das erklärt dann vielleicht auch, dass Sandra extrem unterschiedliche Erfahrungen mit Beamt.innen gemacht hat.
Sandra: Er war kurz davor mich umzubringen. Und die Ärztin hat mir das nicht geglaubt. Dann kam die Polizei, zwei Polizisten. Der eine ziemlich streng, der andere hat mich ausgelacht. Ich werde sein Lachen niemals vergessen, mit dem breiten Grinser: Na, was hat Ihnen denn gemacht. Erzählen'S amal. Ich war kurz davor, dass ich sag, dass ich einfach mit ihm nicht reden möchte.
Lisa: Sandra macht ihre Aussage dann doch noch im Krankenhaus. Die Polizei redet auch mit ihrem Freund, dem Täter. Er behauptet, Sandra habe sich vom Balkon stürzen wollen und er hätte sie gerettet. Sandra darf das Spital bald wieder verlassen.
Sandra: Einmal bin ich noch zurückgegangen, einfach um sicherzustellen, dass er beruhigt ist und meiner Familie nichts antut. Ich wollte einfach schauen, ob wir uns im Guten trennen können. Und ich wollte ihm auch sicher sagen, dass ich die Polizei nicht gerufen habe, sondern von der Rettung automatisch gegangen ist.
Lisa: Sandra hat immer noch Angst, er könnte sie und ihre Familie umbringen. Das hat er ihr schon mehrmals angedroht.
Sandra: Er hat mich dann umarmt und gesagt, du brauchst keine Angst haben vor mir und er wird sich Hilfe suchen. Ich hab gesagt, ich kann nicht mehr. Ich kann wirklich nicht mehr. Daraufhin ist er wieder wütend geworden. Ich bin gegangen, habe einige Sachen noch mitnehmen können. Und ich bin dann tatsächlich zur Polizei gegangen.
Lisa: Bisher war die Erfahrung mit der Polizei unangenehm, Sandra wurde nicht ernst genommen, ihr wurde nicht geglaubt. Aber diesmal ist die Erfahrung positiv. Der Polizist ist einfühlsam, nimmt zwei Stunden lang ihre Aussage auf. Als Sandra die sexualisierte Gewalt durch ihren Ex-Freund anspricht, verweist er sie auf eine Kollegin.
Sandra: Sie hat sich viel Zeit genommen und alles gut dokumentiert. Dann wurde ich nochmal eingeladen, nämlich nachdem mein Freund verhört wurde. War es so, dass ich seine Aussage durchlesen konnte und dazu nochmal Stellung nehmen durfte. Es war ihnen wichtig, dass ich das durchlese in ihrem Beisein. Das war eine sehr gute Begleitung.
Lisa: Sandra wendet sich an eine Beratungsstelle und schafft es mit der Unterstützung, eine einstweilige Verfügung gegen ihren Ex-Freund zu erwirken. Das heißt: Er darf sich ihr nicht nähern. Dann geht es richtig los. Sandra soll Beweise sammeln.
Sandra: Ich hatte schon 1000 Zettel zu Hause, für mich war das als Opfer total mühsam, alles zusammenzusuchen, die Beweise zu suchen. WhatsApp Verläufe, ich hatte ja schon 3-4 verschiedene Nummern, die Verläufe sind verschwunden. Die, wo ich bedroht wurde, die hatte ich nicht mehr. Ich hatte nur noch Verläufe, die in unserer Trennungsphase zustande gekommen sind und da war er schon hellhörig, er wusste, dass er sich nicht zuschulden kommen lassen durfte. Vor allem nicht schriftlich.
Lisa: Das hier ist der Knackpunkt. Nachdem sich Sandra aus der Beziehung befreit hat, liegt es an ihr, zu beweisen, dass die Gewalt wirklich passiert ist. Da s ist eine immense Last für Opfer.
Sandra muss Beweise sammeln, damit sie überhaupt eine Chance darauf hat, dass der Täter vor Gericht kommt. Aber wenn er sie geschlagen hat, war niemand anderer dabei. Er hat sie von ihrem Umfeld isoliert. Ihr Handy kontrolliert. Sandra hat also keine Fotos von Verletzungen. Keine Nachrichten an Freundinnen, in denen sie schildert, was ihr gerade passiert. Sandra ist nicht alleine mit diesem Problem. Dazu Anwältin Sonja Aziz:
Sonja Aziz: …es wird so im Sinne dieses Bildes eines perfekten Opfers erwartet, dass das Opfer eine perfekte Mappe, einen Ordner mit vorgefertigten Beweismitteln zur Verfügung stellt und die wir am Silbertablett serviert. Aber das ist nicht die Realität. Und es blendet auch aus, was es für eine seelische Belastung ist, sich mit diesem Beweismaterial auseinanderzusetzen.
Max: Das ist doch dann typisch Aussage gegen Aussage, wenn sonst niemand dabei war. Kann man das als Opfer vor Gericht überhaupt irgendwie beweisen?
Lisa: Die meisten kriegen überhaupt nicht die Chance, das vor Gericht auszusagen. Eine Analyse aus dem Jahr 2016 hat gezeigt, dass 73% der untersuchten Fälle von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden, also dass es nicht zu einem Gerichtsverfahren kommt. Ich habe auch beim Justizministerium angefragt, ob sie nicht neuere Zahlen haben.
Max: Das mit den Zahlen ist in Österreich ja so eine Sache.
Lisa: Die gute Nachricht ist: Seit Herbst 2021 gibt es eine Kennung für Straftaten im sozialen Nahraum, also in der Familie oder in der Beziehung zum Beispiel.
Max: Und die schlechte?
Lisa: Die Pressesprecherin sagt, die Kennung gibt es noch nicht lange genug, um aussagekräftige Statistiken zur Verfügung zu stellen. Sie konnte mir aber die Zahlen zum Paragraphen "fortgesetzte Gewaltausübung" schicken.
Max: Das ist bei Gewaltbeziehungen besonders relevant, weil es da eben nicht um eine einmalige Körperverletzung geht.
Lisa: Die möglichen Strafen sind auch viel höher. Sandra hat ihren Ex-Freund wegen fortgesetzter Gewaltausübung angezeigt. Mich hat interessiert, wie oft Verfahren deswegen vor Gericht landen und wie oft sie eingestellt werden.
Max: Ich glaube, ich weiß schon, was jetzt kommt.
Lisa: Im Jahr 2020 wurde wegen fortgesetzter Gewaltausübung 540 Mal Anklage erhoben. Und 850 Mal wurde das Verfahren eingestellt. Wieso gerade bei Gewalt in Beziehungen Verfahren so oft eingestellt werden, erklärt Beatrix Resatz. Sie ist stellvertretende Leiterin der Staatsanwaltschaft in Eisenstadt.
Sonja Aziz: …es muss schon sehr große, sehr große Beweiskraft bereits da sein, um auch eine Anklage erheben zu können. Im Gesetz, wenn man dieses umgangssprachlich so formuliert, muss sich eine sehr hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit haben.
Lisa: Und der Grund dafür leuchtet auch ein. Du willst ja nicht, dass Anzeigen als Druckmittel verwendet werden und unschuldige Menschen ständig irgendwelche Verfahren am Hals haben, die psychisch und finanziell echt belastend sein können - ohne dass es auch nur irgendwelche Beweise gibt.
Max: Also einfach keine Chance bei häuslicher Gewalt? Das kann ja nicht die Antwort sein.
Lisa: Ist es nicht. Ein großer Kritikpunkt von Expert.innen, Forscher.innen und Institutionen ist, dass nicht genug ermittelt wird. Es funktioniert so: Die Polizei nimmt die Aussagen von Opfer und Verdächtigen auf. Sie kann auch weiter ermitteln, zum Beispiel das Umfeld befragen, was es mitbekommen hat. Oder Ex-Freundinnen vom mutmaßlichen Täter auftreiben. Sich um medizinische Dokumente kümmern. Die Praxis sieht anders aus, sagt Anwältin Sonja Aziz.
Sonja Aziz: Das passiert ja immer wieder, dass Nachbarinnen intervenieren oder das Opfer sich an jemanden hilfesuchend wendet, das sogar bei der Polizei erwähnt ist. Im Protokoll steht aber es steht nirgends, wie diese Nachbarin heißt. Die Polizei fragt nicht nach, an welcher Tür-Nummer die wohnt, wie die heißt und befragt sie auch nicht.
Lisa: Der vielleicht unvollständige Polizeibericht geht dann an die Staatsanwaltschaft. Und die hat auch wieder die Möglichkeit zu sagen: Hey, geht doch noch dieser Spur nach. Aber auch das passiert zu wenig. Es gibt sogar vom letzten Jahr, also aus 2021, einen Erlass von Justizministerium, wo nochmal klar steht, dass auch alle indirekten Zeug.innen ermittelt werden sollen. Sonst kommt es zu einer schwierigen Situation, wie Staatsanwältin Beatrix Resatz erklärt.
Beatrix Resatz Es ist natürlich so, dass bei Gewalt im sozialen Nahbereich, insbesondere wenn es zu Partnergewalt kommt, es oft keine Zeugen oder keine objektivierten Beweismittel gibt. Das heißt, die Beweiswürdigung beschränkt sich dann zumeist darauf auf die Glaubwürdigkeit der Aussagen der jeweils Beteiligten. Es ist aber in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung. Es ist in jedem Fall die Entscheidung, wie schlüssig sind die einzelnen Aussagen, immer bewertet, natürlich auch immer die dahinter liegende Motivlage.
Max: Also ich würde nicht wollen, dass ein ganzes Verfahren daran hängt, wie "glaubwürdig" ich bin.
Lisa: Das ist vor allem ein Problem, wenn Richter.innen sich nicht so gut auskennen und die Fakten falsch interpretieren. In deren Ausbildung sind Dinge wie die Gewaltspirale, Abhängigkeiten, ob finanziell oder psychisch, kein großes Thema. Das wird einfach vernachlässigt, sagt Anwältin Barbara Steiner.
Barbara Steiner: Der Punkt ist, dass das Thema Gewalt in der Familie kein spezifisch juristisches Thema ist und deswegen sieht sich offenbar auch niemand zuständig in der juristischen Ausbildung das zum Thema zu machen.
Lisa: Erlebst du das oft vor Gericht, dass die Opfer abgestempelt werden?
Barbara Steiner: Ich glaube, abstempeln ist jetzt vielleicht nicht das richtige Wort, aber es passiert auf subtilerer Ebene, dass eben man dann sagt, das ist nicht nachvollziehbar oder sie hätte früher gehen können oder wieso hat sie ihm die Tür aufgemacht. Oder warum ist sie eben nicht früher gegangen. Das wird dann eben nicht verstanden und damit wird die Glaubwürdigkeit des Opfers infrage gestellt.
Max: Wir stellen uns vielleicht vor, er ist gewalttätig, sie zeigt ihn an und bricht den Kontakt für immer ab. In der Realität ist das viel komplizierter. Die Opfer haben teilweise immer noch eine sehr starke Bindung zum Täter und verhalten sich dann so, dass es auf Außenstehende total unlogisch und widersprüchlich wirkt. So war das auch bei Sandra.
Sandra: Es kam dann zu einer Gerichtsverhandlung.…der Richter war eigentlich mehr daran interessiert, das ganze so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen.
Lisa: Vor Gericht werden ausschließlich Sandra und ihr Ex-Freund befragt. Weitere Beweise werden nicht berücksichtigt, sagt sie.
Sandra: Es wurde darauf nicht eingegangen. Es war wie als wären alle Sachen, die ich vorgelegt habe, nicht relevant.
Sandra war mit ihm bei einer Paarberatung. Die Psychologin hat gemerkt, dass etwas komisch ist und ihn rausgeschickt. Sandra hat ihr alles erzählt und die Psychologin hat die Gewalt notiert. Aber das spielt vor Gericht einfach keine Rolle.
Sandra: Es gibt hier irgendwo, ich bin wegen jedem Scheiß sag ich jetzt mal, herumgelaufen, da als Opfer, um zum Beispiel den Befund zu bekommen. Hier ist die Bestätigung vom Kriseninterventionszentrum. Wo eindeutig steht: Gewalt in der Beziehung.
Lisa: Sandra gibt mir die Gerichtsprotokolle, ich lese sie durch und bin vor allem überrascht davon, wie wenige Seiten es sind. Und ich bin auch überrascht von den Fragen, die der Richter Sandra immer wieder stellt.
Lisa: Die Fragen, die du gleich hörst, stammen direkt aus den Gerichtsprotokollen. Max, würdest du diese Passagen bitte vorlesen?
Max: "Warum haben sie ihn nicht schon am 1.1. verlassen?"
"Was hat sie davon abgehalten, vorher schon Anzeige zu erstatten?"
"Warum rufen Sie ihn an und sagen, Sie wollen die Beziehung nicht beenden?
"Haben Sie öfter problematische Männerbeziehungen?"
"Trotzdem wundert mich ein wenig, warum Sie nicht gleich nach dem Vorfall vom 1. Jänner Anzeige erstattet haben, wenn das so drastisch war. Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen, wenn der sagt: "ich zünde deine Mutter an", das ist ja irgendwie besorgniserregend, oder?"
Lisa: Der Richter fragt, wieso Sandra ihrem Ex-Freund nach der Trennung noch gesagt hat, dass sie ihn liebt. Ich vermute, das hat sie in den Augen des Richters weniger glaubwürdig gemacht. Max, wenn du auch das hier vorlesen würdest, die nächste Passage stammt aus einer Broschüre für Opferschutz vom Institut für Konfliktforschung:
Max: "Aufgrund der engen Beziehung zwischen ihnen ist die Haltung des Opfers gegenüber dem gewalttätigen Partner nicht so eindeutig wie im Fall von Gewalthandlungen, die von Fremden ausgeübt werden. Emotionale Bindung, die Hoffnung auf Veränderung, Angst und/oder Manipulation können Gründe für diese Ambivalenz sein."
Lisa: Danke dir. Dazu kommt, dass Opfer in den meisten Fällen nicht die erste Gewalttat anzeigen. In 80% der untersuchten Fälle in der Broschüre haben die Frauen erst angezeigt, wenn die Gewalt eskaliert ist und die Übergriffe sich häufen. Das ist in dem Sinn normal. Aber dafür gibt es aber zumindest ins Sandras Fall wenig Verständnis vom Richter. Und sie weiß schon, dass die Verhandlung nicht so gut läuft. Dann kommt das Urteil. Sandras Ex-Freund wird in allen Fällen freigesprochen.
Lisa: Ok Max, ich weiß, das war sehr viel. Was konntest du mitnehmen zur Rolle von Polizei und Justiz in bei Gewalt in Beziehungen?
Max: Die Folge hinterlässt ein bedrückendes Gefühl bei mir. Da werden Opfern solche Hürden in den Weg gelegt.
Lisa: Wir haben jetzt schon über Prävention gesprochen, über Opfer und Täter in Gewaltbeziehung und die Behörden. In der nächsten Folge sehen wir uns an, was passiert, wenn jede Hilfe zu spät kommt und Medien anfangen zu berichten.
Max: Wir nehmen die Berichterstattung der Medien in den Blick und sprechen dafür mit Katrin Biber. Ihre Schwester wurde vom damaligen Partner ermordet. Sie erzählt, wie es war, dass die Medien jedes noch so kleine Detail der Tat auf die Titelseite gehoben haben und erklärt, wie Medien ihren Job besser machen könnten.
Lisa: Du hast in dieser Folge etwas Neues gelernt und findest das Thema wichtig? Dann teile sie doch mit deinen Freund.innen und hinterlasse uns eine Bewertung. Wir freuen uns.
Max: "Man tötet nicht aus Liebe" ist ein Podcast von Lisa Wölfl und Max Eberle. Tatkräftig unterstützt von Tom Schaffer, Lukas Rapf, Eda Öztürk und Bettina Mühleder. In Kooperation mit Radio Orange.
Lisa: Der Podcast wird ermöglicht durch die Vielen, die MOMENT.at mit freiwilligen Beiträgen helfen. Wenn dir unsere Arbeit gefällt, geh auf Moment.at/unterstuetzen. Jeder Beitrag zählt.