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Das Opfer | Man tötet nicht aus Liebe

Episode Summary

"Wieso bist du nicht gegangen?" Diese Frage begleitet Opfer von Gewalt in Beziehungen schon lange. Sie kommt von der Familie, von Freund:innen, bei der Polizei, sogar vor Gericht. In der zweiten Folge von "Man tötet nicht aus Liebe" geben wir Antworten.

Episode Notes

CN: Teilweise explizite Schilderung von Gewalt an Frauen

Wenn eine Frau ermordet wird, dann war der Täter wahrscheinlich der Partner oder der Ex-Partner. Oft war das Opfer jahrelang mit dem Täter zusammen - trotz Gewalt in der Beziehung. Außenstehende denken vielleicht: Mir könnte das nicht passieren. Ich würde beim ersten Anzeichen von Gewalt den Schlussstrich ziehen.

Doch Gewaltbeziehungen sind kompliziert und eine Trennung kann gefährlich sein. In dieser Folge berichtet Kathi von ihrer Mutter, die sich erst nach einem Messerangriff aus der Gewaltbeziehung befreite. Die Leiterin der Wiener Frauenhäuser Andrea Brem erklärt, welche politischen und persönlichen Hintergründe dazu beitragen, die Trennung zu erschweren.

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Musik

Cody Martin - Tesseract / Soundstripe
Cast of Characters - Urgent Assistance / Soundstripe
Chelsea McGough - Mind Over Matter / Soundstripe
Chelsea McGough - Liminal / Soundstripe
Jakob Tschachler - Home

Medien

Der Taucher - Trailer
Die Ungehorsame - Trailer
Ted Talk von Leslie Morgan Steiner - Why domestic violence victims don't leave

Du bist von häuslicher Gewalt betroffen und benötigst Hilfe?

Episode Transcription

Trailer "Die Ungehorsame"

0:53 Wenn mich ein Mann nur einmal so schlagen würde, ich wäre sofort weg.

Er hat sich selber dafür so dermaßen gehasst, dass ich ganz sicher war, dass er das nicht nochmal macht.

Leslie Morgan Steiner, Ted Talk

0:26 And the question I'm going to tackle is the one question, everyone always asks: Why did she stay? Why would anyone stay with a man that beats her?

Trailer "Der Taucher"

0:40 Wenn du zu ihm zurückgehst, dann bin ich weg. Für immer.

Ich schwöre dir, dass ich das nicht tun werde.

Max: Wer noch nie in dieser Situation war, kann das nur schwer verstehen. Frauen bleiben in Beziehungen, auch wenn der Partner gewalttätig ist. Mal lösen sie sich nach Monaten, mal nach Jahren oder sogar erst nach Jahrzehnten. Wieso gehen sie nicht?

Lisa: Diese Frage hören betroffene Frauen von der Familie, von Freund.innen, bei der Polizei und vor Gericht. Oder sie stellen sich diese Frage sogar selbst. Wir suchen in dieser Folge nach Antworten und beleuchten Abhängigkeiten, politische Probleme im Hintergrund und die Gefahr, die eine Trennung mit sich bringen kann.

Max: Mein Name ist Max Eberle.

Lisa: Und ich bin Lisa Wölfl. Du hörst die zweite Folge von MOMENT: Man tötet nicht aus Liebe.

Jingle

Andrea Brem: Also erstens mal ist in der Beziehung nicht alles schlecht, sondern die Frau hat sich ja für diesen Mann entschieden, weil sie ihn liebt.

Kathi: Mama, geh doch einfach. Du kannst dich nicht durchgehend über ihn aufregen, durchgehend über ihn schimpfen und dann im nächsten Moment wieder da sitzen und einen auf love of my life machen. 

Andrea Brem: es ist Fakt, dass die Zeiten der Trennung die gefährlichsten für Frauen sind

Jingle Ende

Max: Wir haben in der letzten Folge besprochen, dass unheimlich viele Frauen in Beziehungen schon Gewalt erlebt haben. Und, dass bei Femiziden Opfer und Täter oft jahrelang zusammengewohnt haben. Für viele ist das wohl unverständlich. Wieso man bei einem Mann bleibt, der kontrolliert, wen man trifft. Der betrunken ausrastet und zuschlägt.

Lisa: Man hört das und denkt sich: Mir könnte so etwas nicht passieren. Ich würde beim ersten Anzeichen von Gewalt den Schlussstrich ziehen. Das ist aber gar nicht so einfach. Von außen sind diese Beziehungen oft schwer zu verstehen. Auch für Kathi. 

Kathi ist Anfang 20. Seit sie denken kann, hatte ihre Mutter gewalttätige Partner. Sie möchte von ihrer Mutter erzählen und zeigen, dass eine Trennung eben nicht so einfach ist, auch wenn Kathi sich das selbst gewünscht hätte. Ich besuche sie in der Steiermark. Ein kurzer Hinweis an der Stelle: Wir sprechen in dieser Folge über die Gewaltbeziehung, in der Kathis Mutter gefangen war, teilweise explizit.

Als der neue Partner von ihrer Mutter auftaucht, ist Kathi erstmal erleichtert. Denn ihre Ausgangssituation ist denkbar schwierig: Ihre Mutter trinkt, ist ihr gegenüber oft aggressiv. Der neue Freund entschärft die Situation.

Kathi: Am Anfang habe ich ihn tatsächlich sehr gerne gehabt, weil er ansich am Anfang superlieb war und er meine Mutter auch, sie hat ein Alkoholproblem gehabt oder hat es immer noch, und er hat sie vom Trinken abgehalten. Weil der das nicht wollte. Und komischerweise hat es immer funktioniert. Also war ich am Anfang positiv gestimmt. Obwohl er ein großes Suchtmittelproblem hat, ein sehr sehr sehr großes Suchtmittelproblem. Das 10x höher ist als der Alkoholkonsum von meiner Mutter.

Lisa: Am Anfang bringt der neue Partner noch Ruhe, aber bald wird sein Drogenproblem schlimmer. Er wird aggressiv und eifersüchtig. Jede noch so kleine Sache kann dazu führen, dass er komplett ausrastet. Kathi beschreibt das Muster im Nachhinein so:

Kathi: Das war dann so, dass er angefangen hat, irgendwelche Sachen zu suchen, die er aber verlegt hat. Weil er halt irgendwo ist in seinem Kopf und dann war eben meine Mutter Schuld. Irgendwann waren das für Sachen wie seine Drogen oder irgendwas. Dann ist er sofort an die Decke und hat ihr sofort vorgeworfen, sie würde das verkaufen, sie würde ihn betrügen. Sie würde keine Ahnung was damit machen. 

Lisa: Meistens geht es sogar nur um ein Feuerzeug. Mehrmals am Tag geht das so. Kathi ist zwar nicht in der Schusslinie, aber bekommt alles mit. Und ziemlich schnell wird klar, dass diese Beziehung nicht gut ist für Kathis Mutter.

Kathi: Lange ging das soweit gut, dass sie physisch unversehrt blieb. Er hat jetzt nicht nach einem Jahr angefangen zu schlagen. Er hat sie halt fertig gemacht.

Lisa: Nach dem ersten Vorfall, bei dem er Kathis Mutter auch körperlich angreift, geht sie ins Frauenhaus. Kathi ist zu dem Zeitpunkt fast 18 Jahre alt und zieht aus.

Kathi: Ich habe sie jeden Tag besucht, auch weil ich gemerkt habe, es geht ihr halt total schlecht und sie hat das zu dem Zeitpunkt auch ein bisschen gebraucht, dass ich sie da besuche und ich wollte das auch, weil ich zu dem Zeitpunkt sehr unsicher war, wie es ihr geht und mir sehr viel Sorgen gemacht habe über ihre psychische Gesundheit und auch nicht das Gefühl hatte, dass im Frauenhaus genug Kapazität da ist, um sie aufzufangen.

Lisa: Kathis Mutter hat einen sicheren Schlafplatz, bekommt zu essen. Aber Kathi sagt, das ist einfach nicht genug, um die dahinterliegenden Probleme zu lösen. Nach ein paar Monaten nimmt ihre Mutter die Beziehung wieder auf. Insgesamt geht sie drei Mal wegen ihm ins Frauenhaus. Dann zieht sie ins Ausland. Das Land will Kathi nicht im Podcast sagen, um die Privatsphäre ihrer Mutter zu schützen.

Kathi: Und er ist ihr sofort nach. Dann waren sie eine Woche später wieder das happy couple nur diesmal in einem ganz anderen Land, wo es defacto weniger Versorgung gibt im Bereich Frauenschutzhäuser. Und dann hab ich sie eh ein paar Monate später besucht und das war dann Weihnachten und es war zu dem Zeitpunkt alles in Ordnung. Er hat sich auch recht zusammengerissen.

Lisa: Das hält nicht lang. Kathis Mutter verliert ihren Job, lebt mit ihrem Freund eine Zeit lang auf der Straße. Das erfährt Kathi aber erst im Nachhinein. Dann kommt die Pandemie und Kathis Mutter wird positiv auf den Coronavirus getestet.

Kathi: Und sie hat ihn halt angerufen, um Bescheid zu sagen, dass sie Corona hat und er hat komplett ausgerastet. Er war der festen Überzeugung, sie hätte ihn betrogen, weil wo hätte sie sich sonst Corona einfangen sollen.

Lisa: Kathis Mutter bleibt aus Angst in einem Café sitzen. Sie ruft Kathi an, schreit ins Telefon, lässt ihre Wut an ihrer Tochter aus. Als sie dann doch nach Hause kommt, rastet er komplett aus.

Kathi: Und dann war das echt so 2 Tage hin und her. Er ist immer wieder abgehauen, dann ist er zurückgekommen, hat sie bedroht und ist wieder abgehauen. In diesen zwei Tagen hat sie mich auch durchgehend fast terrorisiert. Also sie hat mich angerufen, um mich anzuschreien.

Lisa: Kathi weiß nicht mehr, was sie tun soll. Sie ist in einem anderen Land als ihre Mutter, kann nicht direkt eingreifen. Sie fleht ihre Mutter an, ins Frauenhaus zu gehen. Dann bittet sie ihre Mutter, Kontakte zu Hilfseinrichtungen herauszusuchen. Die Situation ist gefährlich, das ist jetzt allen klar.

Kathi: …sie hat schon die Tür zugesperrt als er irgendwann gegangen ist und er ist dann irgendwie durch die Hintertür eingebrochen im Endeffekt und hat sie mit einem Messer bedroht und wollte sie abstechen. Aber sie hat Gott sei Dank mitbekommen, als er durch die Hintertür eingebrochen ist und 55:08 hat diese Nummer angerufen und die haben halt gleich die Polizei gerufen. Die Polizei war rechtzeitig da, bevor er sie abstechen konnte.

Lisa: Er wird festgenommen, aber kommt bald wieder frei. Auf offener Straße schlägt er Kathis Mutter ins Gesicht. Zufällig sind Polizisten in der Nähe, sie bekommen den Angriff mit und nehmen ihn wieder fest. Mittlerweile sitzt er im Gefängnis. Kathis Mutter ist in Sicherheit. Das heißt aber nicht, dass die Sache abgeschlossen ist.

Kathi: Es ist kein System dahinter zu verhindern, dass das wieder passiert. Das ist halt das Ding. Die psychische Symptomatik, die dahinter steckt, immer wieder an diese Männer zu gelangen, in diese Spirale und Co-Abhängigkeit zu gelangen, das ist halt genauso da, wie es vor 5 Jahren da war, vor 10 oder 15.Mein Vater war genau der gleiche Mensch. Und ich hoffe einfach, dass es nicht wieder passiert, aber ich habe nicht das Gefühl von Ruhe, überhaupt nicht.

Lisa: Die Beziehung mit dem Ex-Freund war nur für eine kurze Zeit schön. Schnell gab es psychische Gewalt. Dann folgte körperliche Gewalt - und schließlich der Angriff mit dem Messer. Wieso ist sie bei ihm geblieben? Das hat Kathi ihre Mutter über die Jahre oft gefragt.

Kathi: Also ich habe sie zum Teil dann auch sehr eingeengt in der Unterhaltung, glaube ich, dass ich dann auch so war: Mama, geh doch einfach. Du kannst dich nicht durchgehend über ihn aufregen, durchgehend über ihn schimpfen und dann im nächsten Moment wieder da sitzen und einen auf love of my life machen. 

Dann war sie sofort sehr böse: Ja, wo soll ich denn jetzt hin und da hilft mir doch auch niemand.

Lisa: Im Normalfall fängt die Mutter die Tochter auf. Bei Kathi ist es umgekehrt. Sie ist die einzige Ansprechperson für ihre Mutter und hat trotzdem zumindest gefühlt unheimlich wenig Einfluss auf ihr Leben.

Kathi: Irgendwann ist der Punkt auch erreicht, wo man selber böse wird und sagt, ja bitte, geh nicht zu ihm zurück. 

Weil man sich denkt, jemand, der dir so etwas Schlimmes antut, warum liebst du diesen Menschen noch. Das ist auch nicht rationales, das ist dann halt so, das lässt sich dann auch nicht ändern. Du kannst so böse sein auf die Person, wie man möchte, es ändert an der Situation nichts.

Lisa: Auch wenn keiner der Partner Kathi je ein Haar gekrümmt hat, sie hat trotzdem alles mitbekommen. Aber für Kathis Gefühle gibt es seit ihrer Kindheit nur wenig Platz. 

Kathi: man fühlt sich als Kind einfach sehr übersehen zum Teil, weil es immer wieder um diese Gewalterfahrung geht und dass man auch irgendwann bisschen die Rollen umkehrt und versucht, das Elternteil zu schützen, weil man dabei ja auch nicht zuschauen möchte und andererseits ist man auch einfach wahnsinnig wütend, weil man halt nicht einsehen kann, wieso diese Person immer wieder diese Entscheidung trifft und warum man immer wieder in diese Situation gerät, besonders wenn man noch zu Hause wohnt, man da auch reingezogen wird. Man kann sich dem nicht einfach entziehen.

Lisa: Ihre Mutter hat keine Freundinnen, sie hat keine Familie mehr, das Geld ist immer schon knapp. Sie hat nur ihre Tochter - und eben immer wieder Männer, die sie schlecht behandeln. Was ihr fehlt, ist eine Perspektive. Die realistische Chance auf ein gutes Leben. Das Wissen, dass es nicht so schlimm bleiben muss, wie es jetzt ist.

Kathi: Er hat es geschafft, ihr das Gefühl zu geben, dass sie komplett alleine ist auf der Welt. Dass niemand ihr helfen wird. Was nicht stimmt.Er hat es wirklich geschafft, sie im festen Glauben zu lassen, sie hat keine Wahl als bei ihm zu bleiben. Und keine Wahl, als von seiner Pension da zu leben und sich zwischendurch den Schädel einschlagen zu lassen.

Musik

Max: Das fehlende soziale Netz, wenig Geld, psychische Abhängigkeit - all das sind Faktoren, die es noch schwieriger machen, sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien. So wie Kathis Mutter geht es unzähligen Frauen. Und Andrea Brem kennt viele von ihnen.

Andrea Brem ist die Leiterin der Wiener Frauenhäuser. Sie arbeitet seit über 30 Jahren im Gewaltschutz. Ihr Büro ist in einem Frauenhaus. Die Adresse ist zum Schutz der Frauen geheim. Die Eingangstür ist dick und mit mehreren Schlössern verriegelt. Drinnen wirkt es friedlich. In der Küche stehen Kekse. Ein klein er Hund, ein Mops, läuft an mir vorbei.

Hier kommen Frauen hin, die akut von Gewalt betroffen sind und jetzt Schutz brauchen. Manche kommen wie Kathis Mutter öfter und gehen doch immer wieder zum Täter zurück. Ich frage Andrea Brem, wieso.

Andrea Brem: Also erstens mal ist in der Beziehung nicht alles schlecht, sondern die Frau hat sich ja für diesen Mann entschieden, weil sie ihn liebt. Es gibt Phasen, wo es diese Gewalttätigkeit gibt. Es gibt aber auch Phasen, oft gerade nach der Gewalttätigkeit, wo sich gewalttätige Männer wieder sehr um die Frauen bemühen, sich sehr verwöhnen und sozusagen versuchen, das wiedergutzumachen unter Anführungszeichen. 

Max: Das ist die sogenannte "Honeymoon-Phase" in der Gewaltspirale. Wie in Flitterwochen ist es eine Zeit mit romantischen Gesten und Geschenken. Der Mann gelobt Besserung und kämpft um die Gunst der Frau. Damit bringt er sie wieder unter seine Kontrolle.

Andrea Brem: Wir alle haben waren vielleicht schon in Beziehungen, wo man das Gefühl gehabt haben, die tun uns nicht gut und sind aber geblieben. Und genauso geht es den Frauen auch. Und man sagt, dass man, um sich wirklich zu  trennen, sieben Anläufe braucht. Also das ist natürlich schon eine lange Phase und es ist halt auch schwierig. Ich muss schon sagen, ich finde, dass die Frauen, die zu uns kommen, auch sehr viel Mut haben, also so sein Kofferl zu packen.

Max: Diese Geschichten spielen sich vor dem Hintergrund politischer Probleme ab. Fakten wie die ungleiche Verteilung von Kinderbetreuung, die Lohnschere und ein strenges Fremdenrecht spielen alle eine Rolle.

Andrea Brem: Es gibt ökonomische Abhängigkeiten. Frauen, die mit ihrem Visum an den Mann geknüpft sind, das heißt in ihrem Aufenthaltstitel abhängig sind. Frauen, die ökonomisch abhängig sind, das heißt, die kein eigenes Einkommen haben und einfach auch Angst haben, dann mit drei Kindern alleine dazustehen. Ich glaube auch zum Beispiel, dass die Einsamkeit, also gerade ältere Frauen. Die Vorstellung, dann alleine in der Wohnung zu sitzen, ist auch nicht prickelnd.

Max: Es ist ganz typisch, dass Täter ihre Opfer von der Außenwelt abschotten. Dann gibt es auch kein soziales Netz, das sie auffangen kann. So wie Kathis Mutter gesagt hat: Wer soll ihr denn helfen? Was soll nach der Trennung mit ihr passieren?

Andrea Brem: es ist Fakt, dass die Zeiten der Trennung die gefährlichsten für Frauen sind, dass erst dann, wenn Frauen gehen, spitzt sich die Gewaltspirale noch einmal extrem zu.

Max: Da schaffen die Frauen schon den Schritt, sich zu lösen. Sie machen praktisch das, was auch gesellschaftlich von ihnen erwartet wird. Aber gerade bei der Trennung ist die Gefahr besonders hoch, verletzt oder sogar ermordet zu werden.

Lisa: Wir haben ja in der letzten Folge die Geschichte von Nadine gehört. Ihr Partner hat sie in ihrer eigenen Trafik angezündet. Sie war offenbar dabei, sich von ihm zu trennen.

Max: Du hast dir ja die Fälle von 2021 angesehen. Ist das so etwas wie ein Muster, das wir immer wieder sehen? Gewalt in der Beziehung, die Frau will sich trennen, der Mann tötet sie?

Lisa: So wie ich das aus den Medienberichten entnehmen kann, ist das immer wieder der Fall, ja. Die Frau plant, den Mann zu verlassen, er tötet sie. Eine andere Frau will die Scheidung, sie hat den Mann sogar angezeigt, er ersticht sie. Und wieder: Eine Frau beendet eine sehr lange Beziehung, mit dem Mann hat sie ein Kind, er erschießt sie. In Salzburg hat ein Mann seine Ex-Freundin und ihre Mutter getötet.

Max: Frauenhäuser sind in dem Zusammenhang extrem wichtige Einrichtungen. Sie haben rund um die Uhr offen. Fast immer sind die Adressen geheim und es gibt hohe Sicherheitsvorkehrungen. 

Lisa: Ich weiß noch, dass Nadines Cousine Barbara gesagt hat, für Nadine wäre ein Frauenhaus wahrscheinlich keine Option gewesen. 

Max: Das gibt es natürlich Frauen, die sich keine Hilfe suchen, weil sie nicht wollen oder es in dem Moment einfach nicht können. Andrea Brem sagt dazu:

Andrea Brem: Also eigentlich haben wir viele Gewaltschutzmaßnahmen, die auch relativ gut greifen. Aber es ist immer wieder so, dass Frauen doch nicht erreicht werden. Also einige der Ermordeten haben um Hilfe gebeten und diese nicht erhalten. Einige haben sich aber auch an niemanden gewendet. Wenn niemand weiß, dass es die Gewalt gibt, kann man natürlich auch nicht helfen.

Lisa: Was sind denn das für Frauen, die ins Frauenhaus gehen?

Max: Das ist ganz unterschiedlich. Also in dem Frauenhaus, bei dem ich war, da wohnen grundsätzlich Frauen ab 18. Die älteste Bewohnerin war 92 Jahre alt.

Andrea Brem: Also wir haben wirklich quer durch alle Gesellschaftsschichten. Wir haben Frauen, die studiert haben, genauso wie Frauen, die Analphabetinnen sind. Wir haben Frauen mit keinen Kindern, mit 5, 6 Kindern. Also eigentlich quer durch die Gesellschaft.

Max: Die Frauen dort wohnen in einem eigenen Zimmer, auch mit ihren Kindern, es gibt Gemeinschaftsräume.

Andrea Brem: Das ist insofern so wichtig, weil ich glaube, dass es für die Frauen eine ganz wichtige Erfahrung ist, dass sie nicht ein Einzelfall sind, sondern dass ihre Situation mit ganz vielen Frauen teilen. Und es entstehen im Frauenhaus auch immer wieder gute Freundschaften und viele Unterstützungsmöglichkeiten. 

Lisa: Manche Frauen bekommen aber auch im Frauenhaus auch nicht das, was sie brauchen. Kathi hat es so bei ihrer Mutter beschrieben: Sie hat einen sicheren Schlafplatz und Essen bekommen. Ihre psychischen Probleme wurden aber nur sehr oberflächlich behandelt. Das Grundproblem hat sich also nicht gelöst. Sie hätte mehr Betreuung, mehr Therapie, mehr Unterstützung gebraucht.

Max: Das ist im Nachhinein natürlich schwierig zurückzuverfolgen, was da genau schiefgelaufen ist. Es ist leider so, dass eine einzige Einrichtung nicht immer alles machen kann. Wobei Brem und ihre Kolleginnen auch bei der Arbeitssuche helfen, Therapie vermitteln und auch Rechtsberatung machen. In manchen Bundesländern sind die Frauenhäuser schlecht finanziert. Die Förderungen werden zum Beispiel nicht an die Inflation angepasst. Oder die Betreiber.innen müssen zu Jahreswechsel überhaupt zittern, ob sie eh wieder gefördert werden. In Österreich sind die Bundesländer dafür verantwortlich, also kann es da sehr unterschiedlich sein.

Lisa: Das ist schon ein paar Jahre her, aber ich wollte mir mal anschauen, wie viel die Bundesländer für Frauenhäuser pro Kopf ausgeben. Das war echt schwierig zu bekommen von den Stellen. Jedenfalls hat Wien da ziemlich gut abgeschnitten, Kärnten auch. Tirol hat sehr wenig gefördert. Und ähnlich sieht es auch bei den Plätzen aus. In manchen Frauenhäusern gibt es viele Zimmer, andere haben nur wenig Platz und müssen im schlimmsten Fall auf andere Stellen verweisen, wenn eine Frau bei ihnen Hilfe sucht.

Max: Die Finanzen von den einzelnen Einrichtungen sind da ein Thema. Aber alleine von dem, was Andrea Brem gesagt hat, sehen wir ja, wie viele politische Probleme sich in den einzelnen Geschichten wiederfinden. Wenn wir uns zum Beispiel Kinderbetreuung und Lohnschere ansehen. Wenn du deine drei Kinder betreust und schon seit Jahren weg bist vom Arbeitsmarkt, du hast kein eigenes Einkommen und bist total abhängig vom Partner. Andrea Brem hat auch Aufenthaltstitel angesprochen. Also auch Fremdenrecht spielt da hinein. Die Frauenhäuser können das nicht ändern. Das müssen Politiker.innen machen.

Lisa: Wir sind ja in diese Folge gestartet mit der Frage: Warum geht sie nicht einfach? Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach, weil so viele Dinge mit hineinspielen. Geld, auch die Beziehung an sich, also wenn der gewalttätige Partner die wichtigste Bezugsperson ist. Angst davor, was er tun könnte bei einer Trennung. Wenn man den Kindern zuliebe mit ihm zusammen bleiben will. Die Hoffnung darauf, dass er sich diesmal wirklich ändert. Psychische Abhängigkeit. Und so weiter.

Max: Wenn es um Gewaltbeziehungen geht, liegt der Fokus oft auf dem Verhalten des Opfers. Wer aber Gewalt verhindern will, muss woanders hinschauen: auf den Täter.

Jingle

Lisa: Wie werden Männer überhaupt zu Tätern und wie schaffen wir es, das zu verhindern? Diesen Fragen widmen wir uns in der nächsten Folge von "Man tötet nicht aus Liebe". Wir sehen uns an, wie Täterarbeit funktioniert und suchen nach Männern, die es geschafft haben, die Gewalt hinter sich zu lassen.

Max: Du hast in dieser Folge etwas Neues gelernt und findest das Thema wichtig? Dann teile sie doch mit deinen Freund.innen und hinterlasse uns eine Bewertung. Wir freuen uns.

"Man tötet nicht aus Liebe" ist ein Podcast von Lisa Wölfl und Max Eberle. Tatkräftig unterstützt von Tom Schaffer, Lukas Rapf, Eda Öztürk und Bettina Mühleder. In Kooperation mit Radio Orange.

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Jingle Ende